von Micha

Die Sache mit dem Überfall

Der Überfall an der Lokomotive, erstmals 1903 von Albert Kunze mit seinem legendären Seilgefährten Oliver Perry-Smith begangen, ist einer der großen Klassiker in der Sächsischen Schweiz und natürlich Pflicht für jeden echten Sächsischen Bergsteiger - hört man jedenfalls.

Unzählige Geschichten und Bilder schmücken diesen Weg und diesen Gipfel, der noch mehr als der Talwächter über den Amselgrund thront und dieses Tal so sehr prägt. Selbstredend, dass auch wir uns dieser Aufgabe stellen wollen. Zumindest in Teilen stellen wollen. An einem Freitag wird die Sache besprochen und Willi und Max machen sich auf den Weg nach Rathen. Mit dabei bin auch ich, allerdings muss ich gestehen, mir sagt der Überfall an der Lok so gar nicht zu und so kneife ich fürs Erste. Sorry, Jungs. Max und Willi hingegen wollen die Klubehre retten. Immerhin, im Herzen bin ich dabei.

Am Gipfel angekommen bestaunen wir erst einmal die Landschaft rundum. Der Blick von der Lok zur Elbe hin über den Amselsee und weiter zur Basteibrücke ist einfach traumhaft. Was haben wir nur für ein Glück hier leben, wandern und klettern zu dürfen.

Wir machen uns bereit. Willi und Max proben in einer Trockenübung am Wandfuß den Überfall und ich meine, erste Zweifel in den Gesichtern meiner Bergfreunde zu erkennen. Wenn ich mich schon vor dem Überfall drücke, möchte ich zumindest den AW zum Dom vorsteigen. Ausgerüstet mit Knotenschlingen und Affenfaust geht es los und die ersten Meter zum Absatz verfliegen. Doch ich gebe es zu, ab dem Absatz strauchel ich etwas. Es ist "nur" ein IIIer Weg, aber der Riss macht mir schon zu schaffen und so bin ich froh, den Kessel zu erreichen und erst einmal meine Freunde nachzuholen. Oben angekommen wird mir noch versichert, dass meine gelegte Affenfaust einen Sturz wohl nicht standgehalten hätte. Der Rest des Weges ist nicht der Rede wert und reine Formsache.

Zurück zur tatsächlichen Aufgabe des Tages.
Der Überfall. Willi und Max sind hoch konzentriert und machen sich auf den Weg über den Kessel zur Pfeife. Es wird gestikuliert, diskutiert, genickt und mit dem Kopf geschüttelt. Mich erreichen allerdings von dem angeregten Gespräch nur Fragmente.

Kurzer Rückblick: Zuvor ist Willi im Nachstieg in der Rissvariante am AW (V) gefallen. Das Selbstvertrauen ist etwas angekratzt. Der Überfall an sich wird als machbar eingestuft. Der Weg weiter nach oben zum Gipfel allerdings wird sorgenvoll betrachtet. Es fehlt die Erfahrung, wohl auch das Können und die mentale Kraft. Mit Sicherheit jedenfalls bei mir selbst. Man sagt der Berg erdet und lehrt Demut. Der große österreichische Alpinist und Bergsteiger Paul Preuß hat es treffend in einem Satz formuliert: "Das Können ist des Dürfens Maß." Der Rückzug wird entschieden.

Man hört vielmals, dass der Überfall an der Lok, dieser große Klassiker, Pflicht wäre für jeden echten Sächsischen Bergsteiger. Na dann ... Wir kommen wieder.

Fußnote: Weitere Gipfel des Tages sind das Lamm und die Honigsteinennadel. Max (AW) und zuletzt Willi (AW) im Vorstieg.
Am Lamm versucht sich Willi noch an der "Freiwilligen Überstunden", einer knackigen VIIIc. Am ersten Ring ist allerdings Schluss. Fürs Erste. Übrigens, mit Staunen mussten wir feststellen, dass am Lamm das Gipfelbuch fehlt. Schade.

Fazit: Es war ein wunderschöner Tag. Und das ist das Wichtigste. Zum Ausklang grillen wir noch gemeinsam mit den weiteren Klubgefährten und Freunden an der Elbe, besprechen Projekte und träumen von weiteren Gipfeln und Wegen. Bis zum nächsten Mal.

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